Karlstein – historischer Überblick
von Dr. Johannes Lang M. A. – Stadtarchivar
Unmittelbar am Eingang zum Alpenraum gelegen, ist der Bad Reichenhaller Ortsteil Karlstein geprägt durch ein sich schluchtartig verengendes Tal, aus dem Felsnadeln markant herausragen. Auf ihren Gipfeln erheben sich, romantisch anzusehen, die barocke Wallfahrtskirche zum hl. Pankratius sowie die dahinter liegende Burgruine Karlstein, die der in ihrem Schutze liegenden dörflichen Ansiedlung den Namen gegeben hat.
Karlstein ist jener Ort im Reichenhaller Tal, dessen Vor- und Frühgeschichte am besten erforscht ist, lassen sich doch an den Nordabhängen der genannten Felsen bereits in der ausgehenden Steinzeit menschliche Wohn- und Arbeitsstätten erkennen. Bald schon, um etwa 1.800 v. Chr. entstand hier ein Zentrum der Kupferverhüttung und Bronzeherstellung, wobei das Rohmaterial aus dem Inneralpinen Raum sowie aus dem Osten bezogen wurde. Vermutlich lebten und arbeiteten hier Familien, die in engem Bezug zu den Solequellen und deren Ausbeutung standen. Gleichzeitig lagen die Wohnstätten an einem wichtigen Verkehrsweg, der das Reichenhaller Becken über das Langackertal verließ und sich dort teilte, wobei einer der Wege über den Jochberg nach Inzell und weiter in den Chiemgau, der andere hingegen an der Nordseite des Karlsteinfelsens zum Thumsee und über den Nesselgraben und die untere Weißbachschlucht weiter in den Pinzgau führte.
Händler, die über die Saumwege nach Reichenhall gelangten, dankten für die geglückte Reise, die oft unter großen Strapazen und Gefahren erfolgt war, indem sie den Göttern an Weggabelungen und aussichtsreichen Plätzen Opfergaben darbrachten. Am Langacker und Eisenbichl standen über Jahrhunderte (ca. 1.500 – 1.200 v.Chr.) solche Brandopferplätze, an denen man sich die Höheren Mächte gewogen zu machen hoffte.
Mit dem Aufkommen des Eisens um etwa 800 v. Chr. verlor die Karlsteiner Ansiedlung, die stets von der Kupfer- und Bronzeerzeugung gelebt hatte, an Bedeutung, was zwei Jahrhunderte später sogar zur völligen Aufgabe der Wohnstätten führte. Die Verlagerung wirtschaftlicher Schwerpunkte sowie einsetzende Krisenzeiten führten dazu, dass die Gegend um den Karlstein erst um 200 v. Chr. wieder besiedelt wurde, nun allerdings von Kelten, die stark vom mediterranen Lebensstil der Griechen und Römer beeinflusst waren. Nach deren Vorbild prägten sie Münzen, benutzten edles römisches Geschirr und ließen sich Wein aus dem Mittelmeerraum kommen, während sie im Gegenzug wohl Kupfer, Bronze und Eisen handelten.
Somit war es nur mehr ein kleiner Schritt zur Einverleibung des keltischen Königreiches Noricum, wozu auch Karlstein gehörte, in das Römische Reich, was nach 15. v. Chr. hier auf friedlichen Wege erfolgt ist. Die Kelten, ohnedies fasziniert von der römischen Welt, verließen ihre hoch gelegenen Wohnstätten am Karlstein und siedelten sich im gut zugänglichen Talgrund an. Am Eingang zum Langackertal, der ein wichtiges Nadelöhr für den Verkehr darstellte, errichteten sie im Stil römischer Gutshöfe eine villa rustica, die aus mehreren komfortablen Gebäuden bestand und der Versorgung der städtischen Umgebung (vermutlich Reichenhalls) diente. Obwohl die Kelten ihre Tradition und Tracht beibehielten, nahmen sie doch nach wenigen Generationen die lateinische Sprache an und pflegten den römischen Lebensstil.
Mit den Einfällen feindlicher Germanenstämme im 4. Jahrhundert n. Chr. wurde auch der Gutshof am Langacker zerstört. Wiederinstandsetzungen konnten freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Zenit des Römischen Reiches bereits überschritten war und dessen Zerfall bevorstand. Große Wanderungen europäischer Völker führten schließlich zum Abzug der Römer aus dem Voralpenland. Die bereits romanisierte keltische Bevölkerung aber fand in einigen Gegenden, so auch im Reichenhaller Tal, Gelegenheit zu bleiben. Als sich im 6./7. Jahrhundert n. Chr. die Bajuwaren auch hier niederließen, trafen sie auf diese so genannten Romanen, die in spätantiker römischer Tradition bereits den christlichen Glauben besaßen, so dass die bald darauf einsetzende Missionstätigkeit des aus Worms stammenden Bischofs Rupert hier auf fruchtbaren Boden fiel. Trotzdem lebten christliche Romanen und heidnische Bajuwaren im Reichenhaller Tal über mehrere Generationen friedlich nebeneinander, ehe die Volkselemente miteinander verschmolzen.
In jener Zeit bildete sich vermutlich die dörfliche Ansiedlung am Fuße des Karlsteins, der seit etwa 1140 eine Burg des aus Niederösterreich stammenden Adelsgeschlechts derer von Peilstein trug. Der Salzburger Erzbischof hatte den aus dem vornehmen Geschlecht der Sighardinger stammenden Grafen von Peilstein hierher gerufen und ihn mit dem Burgberg ausgestatt, um im Grafen künftig einen mächtigen Verwalter der erzbischöflichen Salinenanteile von Reichenhall zubesitzen. Der Schulterschluss der beiden aber hielt nur wenige Jahrzehnte, so dass der Erzbischof um 1180 mit Vager und Amerang zwei eigene Burgen errichten ließ, um seinen Einfluss auf das Reichenhaller Tal nicht einzubüßen.
Im Jahre 1218 starb mit dem letzten Spross derer von Peilstein das mächtige, auch in Niederösterreich, in Franken und im Gasteinertal begüterte Adelsgeschlecht aus, und zwischen dem Salzburger Erzbischof und dem Bayernherzog entbrannte ein heftiger Kampf um dessen Erbe im Reichenhaller Tal. In einem mehrere Jahrzehnte dauernden Kleinkrieg, bei dem die beiden Kontrahenten Karlstein und die Umgebung Reichenhalls mit Burgen regelrecht aufrüsteten, konnte sich der Herzog Heinrich auf der Burg Karlstein durchsetzen. Kriegerische Ereignisse führten 1262 zur Zerstörung der erzbischöflichen Burgen Vager und Amerang und somit zum endgültigen Rückzug des Salzburger Erzbischofs aus dem Reichenhaller Raum.
Während diese Burganlagen nicht wieder aufgebaut wurden, setzte der Herzog einen Verwalter (Pfleger) auf Karlstein ein, der auch die darunter liegende Straßenmautstation (vermutlich beim heutigen „Kaitl“ anzusiedeln) betreute. Da Karlstein mittlerweile seine strategische Bedeutung eingebüßt hatte, verlieh der Herzog fortan die Burg käuflich an Adelige, zumal auch ein größerer Umkreis – die Hofmark Karlstein – über die niederen Gerichtsrechte verfügte. Dem Repräsentationsbedürfnis dieser adeligen Hofmarksherren entsprach der Umbau der mittelalterlichen Burg zum neuzeitlichen Schloss, das jedoch auch weiterhin mit den Problemen der schwierigen Erreichbarkeit sowie dem Mangel an Wasser zu kämpfen hatte. 1690 gab man Karlstein schließlich dem Verfall preis.
Auf dem gegenüberliegenden Fels, der spätestens seit dem Jahre 1427 eine dem hl. Pankratius geweihte Kirche trug, wurde etwa zeitgleich mit dem einsetzenden Verfall des Schlosses Karlstein im Jahre 1687 ein neues Gotteshaus durch den Graubündner Baumeister Lorenzo Sciasca erbaut. Die zuvor bereits in Blüte stehende Wallfahrt dorthin erhielt durch den Neubau einen weiteren Impuls und trug so zum Wohlstand des Gotteshauses bei.
Neben der Pankrazkirche war das Gasthaus Kaitl im 18. und frühen 19. Jahrhundert das wichtigste Gebäude in der Ortschaft Karlstein, das weiterhin einen wichtigen Straßenposten auf dem Weg ins Gebirge darstellte. Selbst Mozart, der sich mehrfach auf Italienreisen befand, kehrte wiederholt im „Kaitl“ ein und hob lobend das dort gekochte Tellerfleischsowie das Bier hervor. Das im Kaitl angebotene Bier war deshalb von besonders guter und frischer Qualität, weil es direkt aus den Lagern der Reichenhaller Bierbrauer stammte, die unmittelbar hinter dem Gasthaus, an die Nordflanken der Felsen gelehnt, ihre Lagerkeller besaßen.
Hatte es bislang lediglich so genannte Obmannschaften mit nur geringer Einflussnahme gegeben, so wurde mit der Entstehung der Steuergemeinde Karlstein im Jahre 1818 der Ort politisch handlungsfähig. Außer der Obmannschaft Karlstein, die namengebend wurde, gehörten der neuen Gemeinde nun auch die Orte Nonn, Fager, Kirchberg, Thumsee und Nesselgraben an. Auch nach dem Einsetzen des Kurwesens in Bad Reichenhall um die Mitte des 19. Jahrhunderts lebte die Bevölkerung Karlsteins hauptsächlich vom landwirtschaftlichen Erwerb sowie vom Salzsaumhandel. Gleichwohl nutzen die Kurgäste den Ort für Ausflugsfahrten zur Reischlklamm und zum Kuglbachbauern, wobei vor allem der romantisch gelegene Thumsee zum begehrten Wanderziel avancierte. Im Sommer 1901 verbrachte Sigmund Freud die Ferien zusammen mit seiner Familie am Thumsee. Etwa zur selben Zeit sorgten die am Langacker und im Karlsteiner Tal durchgeführten spektakulären archäologischen Ausgrabungen für internationales Aufsehen.
Im Verlaufe der folgenden drei Jahrzehnte bildete sich auch in Karlstein eine den Kurgästen entsprechende Infrastruktur, es entstanden Übernachtungsmöglichkeiten sowie ein Freibad. Der Zweite Weltkrieg mit zahlreichen aus Karlstein stammenden Gefallenen sowie Einquartierungen und Beschlagnahmungen hinderten diese viel versprechenden touristischen Ansätze vorerst. In den 1950er Jahren erfolgte in der Sogwirkung des wieder erstarkenden Bädertourismus im Staatsbad Bad Reichenhall ein entsprechender Aufschwung auch für Karlstein. Jahrzehnte zuvor bereits zum Kurbezirk gehörig, wurde Karlstein – ebenso wie Marzoll – bei der Gebietsreform 1978 in die nunmehr Große Kreisstadt Bad Reichenhall eingemeindet.